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IV. Bedarfsorientierte Nachwuchssteuerung - ein unlösbares Problem?
Wie die
vorstehenden Ausführungen gezeigt haben, steht die heutige
Lehrerarbeitslosigkeit in einer fatalen Kontinuität einander ablösender
Überfüllungs- und Mangelphasen. Wenn es also in verschiedenen Epochen
der deutschen Geschichte nicht gelungen ist, ein ausgeglichenes Verhältnis
von Angebot und Nachfrage auf diesem Teilarbeitsmarkt herbeizuführen,
dann stellt sich die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen staatlicher
Planung und Steuerung in diesem Bereich noch grundsätzlicher als beim
Blick ausschließlich auf die heutige Situation.
Jeder Versuch einer Problemanalyse muß davon ausgehen, daß in unserer
Gesellschaft Berufswahlentscheidungen individuell getroffen werden.
Hierbei spielt zunächst die persönliche Neigung zum jeweiligen
Studiengang, beim Lehramtsstudium ferner zu den Fächern eine wichtige
Rolle. Darüber hinaus ist eine Reihe „objektiver“ Kriterien von
Bedeutung, wie Länge und Kosten des Studiums, Art und Umfang der
Berufsarbeit, zu erwartendes Einkommen, Aufstiegschancen, schließlich
auch die Beschäftigungsaussichten.
Diese Faktoren kann der Staat als nahezu einziger Arbeitgeber für
Lehrer zwecks Steuerung der Nachwuchsströme beeinflussen, und er hat
dies auch immer wieder getan. So sind in Phasen des Lehrermangels die
Qualifikationsanforderungen gesenkt, in Überfüllungsphasen dagegen
angehoben worden. Nicht zuletzt haben durchgreifende Verbesserungen der
Lehrerbesoldung in Mangelphasen stattgefunden (Anfang des 20.
Jahrhunderts, 1960er Jahre), als es galt, dem Lehrerberuf im Vergleich
zu anderen Berufen mit ähnlich anspruchsvoller Vorbildung finanzielle
Attraktivität zu verleihen.
Die einmal geschaffene Attraktivität eines Berufes hat nun leicht einen
alle Planungen überschreitenden Sogeffekt zur Folge, dessen Dynamik
nicht mit denselben Mitteln zu kontrollieren ist. Da die in der Zeit des
Mangels u. a. als Steuerungsinstrument dienenden materiellen
Gratifikationen anschließend dem Primat der Besitzstandswahrung
unterlieg en, muß die bei einem bevorstehenden Umschlag der
Arbeitsmarktlage gebotene Gegensteuerung im wesentlichen durch Warnungen
vor Aufnahme der Berufsausbildung erfolgen. Das war auch die Funktion
der von den Kultusbehörden seit 1974 veröffentlichten Prognosen, die für
die achtziger Jahre ein immenses Überangebot an Lehrern voraussagten.
Schon damals kritisierte jedoch ein intimer Kenner der Bürokratie, daß
die amtlichen Warnungen zu spät gekommen seien, um die sich anbahnende
Überfüllung zu verhindern. Er verwies darauf, daß
das Problem bereits gegen Ende der sechziger Jahre im nordrhein-westfälischen
Kultusministerium erkannt worden sei, eine entschiedene Gegensteuerung
jedoch erst 1974 eingesetzt habe. So berechtigt diese Kritik an den
kurzfristige Erfolge anstrebenden und daher unpopuläre Maßnahmen
scheuenden Politikern rückblickend erscheint, läßt sie doch eine
Frage offen: Wieweit hätten die Schlußfolgerungen aus den auf
Statistiken gegründeten und deshalb vielen Menschen ohnehin verdächtigen
Prognosen einer auf Bildungswachstum eingestimmten Öffentlichkeit unter
den Bedingungen anhaltenden Lehrermangels überhaupt vermittelt werden
können?
Ein grundsätzliches Problem solcher Prognosen besteht darin, daß sich
der gesellschaftliche Bedarf an Lehrern (und anderen qualifizierten
Berufen) nicht „objektiv“ bestimmen läßt, sondern Ausdruck pädagogischer,
bildungs- und finanzpolitischer Zielsetzungen ist. Das zeigte sich schon
in den Auseinandersetzungen um den Bildungsgesamtplan und seine
Fortschreibung. Den von fiskalischen Rücksichten geprägten
Vorausberechnungen der Kultusbehörden setzten wiederum die
Lehrerorganisationen - vor allem die GEW - eine Bedarfsprognostik im pädagogischen
Optativ entgegen, welche die finanzpolitischen Spielräume
offensichtlich überschätzte. So bot sich den vor der Berufswahl
stehenden Abiturienten auf Grund der öffentlichen Diskussion ein
widersprüchliches Bild der künftigen Beschäftigungschancen für
Lehrer.
Doch selbst wenn es bereits um 1970 einen öffentlich bekundeten Konsens
der bildungspolitisch relevanten Kräfte hinsichtlich des künftigen
Lehrerbedarfs gegeben hätte, wäre die Lehrerarbeitslosigkeit dadurch
allein wahrscheinlich nicht zu vermeiden gewesen. Denn nachhaltigeren
Einfluß auf die Berufswahl als noch so solide, aber abstrakt bleibende
Prognosen haben oft die unmittelbaren konkreten Erfahrungen der
Individuen. Das mußten schon die Statistiker des Philologenverbandes während
der „Scheinkonjunktur“ der zwanziger Jahre resigniert feststellen.
Der gleiche Trugschluß wie damals kehrt in der Äußerung eines
Studenten der siebziger Jahre wieder, wonach die amtlichen Warnungen
1975 „angesichts des riesigen Unterrichtsausfalls und der Tatsache, daß
seinerzeit viele Kommilitonen stundenweise in der Schule arbeiteten,
wenig glaubhaft“ wirkten.Der Rückgang der Lehramtsstudentenquote seit Mitte der
siebziger Jahre belegt nicht zwingend die Wirksamkeit der amtlichen
Prognosen, denn er läßt sich ebenso auf die schon bestehende und von
Jahr zu Jahr steigende Lehrerarbeitslosigkeit zurückführen.
Andererseits deuten empirische Untersuchungen unter Lehramtstudenten der
späten siebziger Jahre darauf hin, daß viele dieses Studium als Notlösung
betrachteten und den Beschäftigungsaussichten keine
entscheidungsrelevante Funktion zukommt.
Dafür spricht auch, daß die Studienanfängerquote seit langem
deutlich höher liegt, als es die bei den Abiturientenbefragungen
ermittelten Studienabsichten erwarten ließen. Dieser Sachverhalt wird
allerdings dadurch relativiert, daß bei steigender
Akademikerarbeitslosigkeit Studienalternativen mit guten Beschäftigungsaussichten
immer rarer werden.
Angesichts der begrenzten Wirkung von Arbeitsmarktprognosen drängt sich
die Frage auf, ob nicht durch rechtzeitig vorgenommene Zulassungsbeschränkungen
für Lehramtsstudiengänge die heutige Misere hätte verhindert werden können.
Ein Numerus clausus wäre jedoch auf rechtliche Hindernisse gestoßen,
denn 1972 entschied das Bundesverfassungsgericht, daß sich der Ausbau
der Hochschulen grundsätzlich an der privaten Bildungsnachfrage zu
orientieren habe und Zulassungsbeschränkungen nur unter völliger
Ausnutzung der Kapazitäten zulässig seien.Unter dieser Voraussetzung hätte ein Numerus clausus keine
arbeitsmarktkonforme Nachwuchssteuerung bewirken können., Zudem wären
dazu fächerspezifische Bedarfszahlen erforderlich gewesen, die noch
schwerer als der Gesamtbedarf zuverlässig vorauszuberechnen sind.
Schließlich hätten selbst Zulassungsbeschränkungen mit optimaler
Steuerungswirkung in bezug auf Lehramtsstudiengänge unter den
Bedingungen steigender Jugend- und Akademikerarbeitslosigkeit keine
wirkliche Problemlösung bedeutet, sondern lediglich eine
Problemverlagerung. Diese hat durch das Ausweichen vieler potentieller
Lehramtsstudenten auf die neu eingerichteten Magister-Studiengänge in
den Geistes- und Sozialwissenschaften mittlerweile auch so
stattgefunden.
V. Strategien zur
Umverteilung des Arbeitsvolumens
Angesichts
der seit Beginn der achtziger Jahre schnell wachsenden
Lehrerarbeitslosigkeit sind in den letzten Jahren Maßnahmen zur
Diskussion gestellt worden, die durch eine kostenneutrale Umverteilung
des vorhandenen Arbeitsvolumens wenigstens einem Teil der arbeitslosen
Lehrer eine Beschäftigung in der Schule ermöglichen sollen.
Dazu ist vorab zu bemerken, daß der Begriff der „Kostenneutralität“
allein auf die Personalkosten der öffentlichen Haushalte bezogen wird
und die materiellen Kosten von Arbeitslosigkeit (Arbeitslosengeld bzw.
-hilfe, Sozialhilfe, Steuerausfall, Nachfrageausfall) nicht berücksichtigt.
Einen umfangreichen Maßnahmenkatalog hat im Februar 1982 der damalige
nordrhein-westfälische Kultusminister Girgensohn der
Kultusministerkonferenz vorgelegt.
Besonders sein erster Vorschlag, der von Girgensohns Nachfolger Schwier
1984 erneut in die Diskussion gebracht wurde, hat in der
bildungspolitisch interessierten Öffentlichkeit große Beachtung
gefunden. Er sah vor, die Pflichtstundenzahl aller Lehrer um eine
Wochenstunde zu senken und proportional dazu die Bezüge um 4-5 %
zu kürzen. Dadurch sollten in Nordrhein-Westfalen 6.000-7.000, im
gesamten Bundesgebiet 18.000‑20.000 Lehrerstellen ohne zusätzlichen
Besoldungsaufwand geschaffen werden können.
In der organisierten Lehrerschaft ist dieser Vorschlag auf Ablehnung
gestoßen, da er eine Zwangsmaßnahme darstellt und eine Zustimmung dazu
die seit einem Jahrzehnt im Raum stehende Forderung nach Arbeitszeitverkürzung
bei vollem Lohnausgleich konterkarieren würde. Allerdings hat er auch
Befürworter gefunden, denen die Solidarität mit den arbeitslosen
Kollegen schwerer wog als durchaus begründete tarifpolitische Bedenken,
wonach die Beschäftigungswirksamkeit der Maßnahme einer
haushaltsrechtlichen Absicherung bedurft hätte, die nur schwer zu
erreichen ist. Die erforderliche Änderung des Besoldungsrechts müßte
nämlich vom Bund ausgehen, während die Regelung der Pflichtstunden und
die Entscheidung über die Zahl der Planstellen in die Kompetenz der Länder
fällt. Schließlich sind auch vorfassungsrechtliche Bedenken gegen den
Girgensohn/Schwier-Plan laut geworden, der heute keine
Realisierungschancen mehr besitzt. Ein ähnliches Schicksal hatte ein
solches Modell schon 1931, als es der preußische Kultusminister Grimme
in einer vergleichbaren Arbeitsmarktsituation zur Diskussion stellte.Weniger umstritten als dieser Vorschlag zur Verkürzung der
Wochenarbeitszeit ist die Verkürzung der Lebensarbeitszeit. Schon seit
längerem können Beamte sich mit Vollendung des 62. Lebensjahres auf
Antrag vorzeitig in den Ruhestand versetzen lassen. In
Nordrhein-Westfalen macht bereits mehr als die Hälfte aller Lehrer von
dieser Möglichkeit Gebrauch. Eine weitere Herabsetzung der Altersgrenze
für eine freiwillige Pensionierung erscheint durchaus möglich und
sinnvoll, hätte aber wohl nur einen begrenzten Beschäftigungseffekt,
wenn damit eine Reduzierung von Versorgungsansprüchen verbunden wäre.
Größere beschäftigungspolitische Wirkungen könnten von einer
generellen Senkung der Ruhestandsgrenze ausgehen, die jedoch aus
demselben Grunde beamten- und verfassungsrechtliche Probleme bereiten
würde, und zwar um so mehr, wenn sie allein für Lehrer verfügt würde,
wie es 1931 in Preußen der Fall war. Schließlich ist zu beachten, daß
unter dem Postulat der Kostenneutralität nur der Unterschiedsbetrag
zwischen Gehalt und Ruhegehalt für Neuanstellungen zur Verfügung
stunde.
Der größte beschäftigungspolitische Effekt geht heute von der
Ausweitung der Teilzeitarbeit aus. Die gesetzlichen Voraussetzungen
hierfür sind schon seit 1980 geschaffen und 1984 erweitert worden,
wobei die Lehrerarbeitslosigkeit ein wesentliches Motiv darstellte.
Lehrern kann jetzt auf Antrag nicht nur aus familiären, sondern auch
aus arbeitsmarktpolitischen Gründen eine Teilzeitbeschäftigung
bewilligt werden, und zwar bis zu zehn Jahren. Für eine Umsetzung
dieser gesetzlichen Möglichkeit bietet die Arbeitsorganisation in der
Schule relativ günstige Voraussetzungen, wenngleich nicht übersehen
werden darf, daß sich der Gesamtarbeitsaufwand zumeist nicht im
gleichen Maße verringert wie die Pflichtstundenzahl, die bis auf die Hälfte
herabgesetzt werden kann.
Die hohe Zahl von verheirateten Lehrerinnen und Lehrerehepaaren läßt
die Teilzeitregelungen besonders beschäftigungswirksam werden. 1984/85
waren in der Bundesrepublik fast 138.000 Lehrkräfte teilzeitbeschäftigt
(5,5 % der Lehrer und 40,5 % der Lehrerinnen), wobei sich der
Arbeitsmarkteffekt auf über 40.000 volle Stellen belief.
Darin sind allerdings auch die Fälle unfreiwilliger Teilzeitarbeit
enthalten, die sich daraus ergeben, daß jungen Lehrern seit Jahren überwiegend
nur noch Zwei-Drittel-Beschäftigungsverhältnisse angeboten werden.
Eine längerfristige Personalbestandsplanung wird bei freiwilliger
Teilzeitarbeit dadurch erschwert, daß die Betreffenden nach Ablauf der
Fristen wieder Anspruch auf einen Vollarbeitsplatz haben und ein
Ausgleich des Arbeitsvolumens durch Neuanträge nicht gewährleistet
ist. Deshalb kommt es nur in geringem Maße zu Neueinstellungen im
Beamtenverhältnis oder auf der Basis unbefristeter Angestelltenverträge.
Vor allem aber gibt es keine haushaltsrechtlichen Bestimmungen, die
sicherstellen, daß die eingesparten Personalmittel. überhaupt für
Neueinstellungen verwendet werden. Dasselbe Problem besteht bei
Beurlaubungen, die bis zu neun Jahren möglich sind.
VI. Alternative
Beschäftigungsmöglichkeiten für Lehrer
Neben Maßnahmen
zur Umverteilung des Arbeitsvolumens in der Schule sind in den letzten
Jahren auch alternative Beschäftigungsmöglichkeiten für Lehrer
diskutiert bzw. erprobt worden.
Aus diesem Spektrum erscheint der Vorschlag einer freien Niederlassung
nach dem Vorbild von Ärzten, Rechtsanwälten usw. nicht nur wegen des völlig
unsicheren Beschäftigungseffekts problematisch. Auch eine befristete
Lehrtätigkeit im Ausland kommt nur für wenige Lehramtsabsolventen mit
bestimmten Fächern als Alternative in Frage. Von größerer Bedeutung
sind Projekte, die durch Umqualifizierungsmaßnahmen die Beschäftigungsmöglichkeiten
von Lehrern in der privaten Wirtschaft erhöhen sollen.
Zwei davon haben bisher besondere Beachtung gefunden.
·
Zum einen
handelt es sich um den Modellversuch „Fernunterricht für arbeitslose
Absolventen von Lehramtsstudiengängen zur Vorbereitung auf eine Tätigkeit
als mittlere Führungskraft in der Wirtschaft auf der Grundlage ihres
Studiums“, den die Wirtschaftsakademie für Lehrer e. V. in Bad
Harzburg 1983 begonnen hat. Sein Ziel ist es, arbeitslosen Lehrern eine
für die Wirtschaft attraktive zusätzliche Qualifikation zu vermitteln,
die es ermöglicht, auch die im Studium erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten
einzubringen. Die Kosten der einjährigen Umschulung, die mit einer öffentlich-rechtlichen
Prüfung abschließt. trägt die Bundesanstalt für Arbeit, sofern der
Teilnehmer anschließend wenigstens drei Jahre
sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Von den 450 Absolventen
der ersten drei Jahrgänge haben nach Angaben der Akademie 350 einen
Arbeitsplatz in der Wirtschaft gefunden, wobei allerdings Status und
Qualifikationsmerkmale der Beschäftigungsverhältnisse unklar sind. Mit
Hochschulabsolventen, die ein Diplom in Volks- oder
Betriebswirtschaftslehre mitbringen, werden die Prüflinge freilich kaum
konkurrieren können.
·
Eine starke
Praxisorientierung zeichnete einen 1982 bis 1984 vom Institut der
deutschen Wirtschaft durchgeführten Modellversuch aus, der vom
Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft finanziell gefördert
wurde. Sein Prinzip bestand darin, Lehramtsabsolventen für ein Jahr auf
betriebliche Arbeitsplätze zu vermitteln und durch „training on the
job“ umzuqualifizieren. 28 Unternehmen hatten 78 Praktikantenplätze
zur Verfügung gestellt, von denen jedoch nur 35 besetzt werden konnten.
Von 163 an Vorstellungsgesprächen in den Unternehmen teilnehmenden
Bewerbern wurden nämlich 35 von den Betrieben nicht akzeptiert, während
93 die angebotene Stelle ablehnten. Dabei ist zu berücksichtigen. daß
es sich um befristete Praktikantenplätze (ein Jahr) mit einer
monatlichen Vergütung von 1500 DM handelte, die häufig einen
Ortswechsel erforderten. Nach Abschluß des Modellversuchs fanden 28
Teilnehmer einen Arbeitsplatz in der privaten Wirtschaft, 23 davon im
gleichen Unternehmen.
In Anbetracht der niedrigen Zahlen kann das Projekt keinen Anspruch auf
Repräsentativität erheben. Ein wichtiges Ergebnis ist aber die
Erkenntnis, daß die Wirtschaft vorwiegend Absolventen mit einem
intensiven Fachstudium (Lehramt für Sekundarstufe II) ‑ besonders
im mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich ‑ sucht,
wogegen der pädagogisch-didaktischen Kompetenz geringere Bedeutung
beigemessen wird. Aus diesem Grunde bleibt es für einen großen Teil
der arbeitslosen Lehrer äußerst schwierig, ihrer Qualifikation
angemessene Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft zu finden.
VII. Ausblick
Der Blick auf die
Entwicklung des Lehrerarbeitsmarktes seit dem 19. Jahrhundert zeigt, daß
die heutige Arbeitslosigkeit nicht allein als Folge einer ökonomischen
und finanzpolitischen Krise zu begreifen ist, sondern wesentlich aus
einer dem Rekrutierungs- und Beschäftigungssystem eigenen Dynamik
resultiert. Ist der Arbeitsmarkt für Akademiker wegen des langen
Zeitraums, der zwischen individueller Studienwahl und Berufseintritt
liegt, ohnehin in spezifischer Weise krisenanfällig, so wird dieses
Problem beim Lehramt durch demographische Faktoren noch verschärft.
Die historischen Erfahrungen zeigen aber auch, daß der
Abschreckungseffekt einer Überfüllung einen erneuten Nachwuchsmangel
nach sich zieht, sofern nicht rechtzeitig eine antizyklische
Gegensteuerung erfolgt. Wenn über Jahre hin praktisch keine Lehrer
angestellt werden, führt das zudem zu einer weiteren Verzerrung in der
Altersstruktur der Lehrerschaft, konkret zunächst zu einer
„kollektiven Vergreisung“, wie sie als Folge der letzten Überfüllungskrise
die fünfziger und frühen sechziger Jahre kennzeichnete. Deshalb wird
heute von verschiedenen Seiten die Forderung nach einem
„Einstellungskorridor“ erhoben, was bedeutet, daß ein Teil der in
den neunziger Jahren für eine Status-quo-Versorgung erforderlichen
Einstellungen vorgezogen werden müßte. Die dazu benötigten
Finanzmittel könnten wenigstens teilweise durch einen begrenzten
Lohnzuwachsverzicht der im Schuldienst stehenden Lehrer bei tariflich
garantierter Arbeitszeitverkürzung aufgebracht werden. Dieses von der
Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vorgeschlagene Modell
erscheint um so sinnvoller, als es auch auf anderen Teilarbeitsmärkten
zur Lösung bestehender Beschäftigungsprobleme beiträgt.
Ein „Einstellungskorridor“ dient aber nicht nur der Linderung der
gegenwärtigen Arbeitslosigkeit. Er hilft auch Rekrutierungsprobleme zu
vermeiden, die demnächst zumindest in bestimmten Fächern daraus
erwachsen können, daß die ausgebildeten Lehrer den
Bildungsverwaltungen dann nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung
stehen. Wenn auch über ihren Verbleib auf dem Arbeitsmarkt bisher zu
wenig bekannt ist, ginge doch die
Vorstellung fehl, es handele sich bei diesen Lehrern um eine jederzeit
verfügbare Reserve.
Solche Überlegungen dürfen allerdings von Abiturienten nicht als
pauschale Ermunterung zur Aufnahme eines Lehramtsstudiums verstanden
werden, sondern sollen nur die Notwendigkeit einer mittelfristigen
Bedarfsplanung auch in der augenblicklichen Situation verdeutlichen.
Denn selbst wenn der säkulare Trend zum Besuch weiterführender Schulen
anhält, steht fest, daß nach
der Jahrtausendwende die Schülerzahl erneut absinken wird. In den nächsten
Jahrzehnten kann daher nicht mit einer Expansion des Bildungswesens
gerechnet werden, wie sie aus den sechziger und siebziger Jahren noch in
Erinnerung ist.
Werner E. Spies,
Bildungsplanung in der Bundesrepublik Deutschland, Kastellaun 1976,
S. 95 ff.
Vgl. Hartmut Titze,
Historische Erfahrungen mit der Steuerung des Lehrerbedarfs, in: M.
Sommer (Hrsg.). Lehrerarbeitslosigkeit und Lehrerausbildung,
Wiesbaden 1987.
GEW (Hrsg.), In Sachen:
Lehrerarbeitslosigkeit (Anm. 16), S. 25.
Vgl. Starr (Anm. 1), S. 368.
Vgl. Pieper (Anm. 9). S. 151.
Vgl. hierzu Rudolf Husemann,
Beschäftigungspolitische Maßnahmen für Absolventen von
Lehramtsstudiengängen, in: Recht der Jugend und des
Bildungswesens, 34 (1986), S. 178‑198; Starr (Anm. 1), S
375-393. Grundsätzlich kritisch dagegen Klaus-Dieter Schmidt, Zum
Problem der Lehrerarbeitslosigkeit, Kiel 1982, S. 20 ff.
Auszug in: Neue Deutsche
Schule, 34 (1982) 3, S. 4-7.
Vgl. als Beispiel für die
Diskussion in der GEW die kontroversen Beiträge von Ulrich Hecker
und Jürgen Jahnke in: Ulrich Hinz (Hrsg.), Keine Zukunft für
Lehrer? Essen 1983.
Vgl. Bölling.
Lehrerarbeitslosigkeit (Anm. 6), S. 207 f.
Vgl. Budde/Klemm (Anm. 18), S.
13 f., 24.
Vgl. zum Folgenden Starr (Anm.
1). S. 393 ff., Husemann (Anm. 28), S. 189-195.
Reinhold Weiss/Rüdiger Falk,
Lehrer in der Wirtschaft. Modellversuch zur Qualifizierung und
Integration, hrsg. vom Bundesminister für Bildung und
Wissenschaft, Bad Honnef 1985, S. XXIV und XXXIV.
Vgl. die Resolution zur
Lehrerarbeitslosigkeit in: Frankfurter Rundschau vom 16. November
1985; Budde/Klemm (Anm. 18), S. 30 übernehmen diesen Vorschlag.
Das Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit hat
1986 eine Untersuchung dazu begonnen, von der wichtige Aufschlüsse
zu erhoffen sind.
Vgl. hierzu Klaus Klemm/Hans-Günter
Rolff/Klaus-Jürgen Tillmann, Bildung für das Jahr 2000. Bilanz der
Reform, Zukunft der Schule, Reinbek 1985, S. 80 ff.
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